Abseits oder nicht? Streit um Gleichberechtigung wird zur Farce
Von Mario Witthake
(17.05.13) Frauen, Fußball und Abseits - wie viele Klischees gibt es da eigentlich? Eine Streitfrage im Juniorinnenbereich zwischen dem SC Münster 08 und den Obrigkeiten des Kreis Münster/Warendorf fügt kein weiteres Klischee, aber ein unwürdiges Kapitel in der Frage um Akzeptanz des Frauenfußballs hinzu.
Judith Conrads ist Trainerin der U11-Juniorinnen des SC Münster 08. Ihr fiel bei einem Trainingsspiel gegen die gleichaltrigen Jungs auf, dass die mit, ihre Mädchen aber ohne Abseits spielen. Ein Blick in die Spielordnung des Kreises verschaffte ihr Klarheit. Denn obwohl vom Landesverband (FLVW) vorgegeben ist, dass man in diesem Alter ohne Abseits zu spielen hat, vereinbarte der Kreisjugendausschuss (KJA) um ihren Vorsitzenden Klaus-Peter Ottlik eine Ausnahmeregelung für die U10 und U11-Mannschaften - allein im Jungenbereich. "Das ist in Abstimmung mit den Vereinen passiert", erklärt Ottlik mit Hinweis auf entsprechende Jugendleitertagungen. Während Ottlik argumentiert, Jungen fingen viel früher mit dem Fußballspielen an und sollten so früh wie möglich mit der Abseitsregelung vertraut gemacht werden, sei das für die Mädchen im gleichen Alter ungeeignet. "Wir haben im Kreis nur zwei U9-Mannschaften im Mädchenbereich, die fangen viel später an." Weiter heißt es, man wolle die Mädchen nicht überfordern, ihnen "nicht den Spaß am Spiel nehmen".
Drohung
Damit kann Judith Conrads wenig anfangen: "Wenn man die Mädchen von vorne herein in Watte packt, ist klar, dass Entwicklungen verschlafen werden." Sie kontaktierte Staffelleiter Theo Nettesheim und Mädchenfußball-Koordinatorin Ursula Scheltrup bereits Anfang Mai 2012. Erst im September, als Conrads eine zweite Mail mit der Bitte um Anpassung der Regel bat, antworteten Nettesheim und Scheltrup. Während Scheltrup darauf verwies, derartige Anfragen müssten von offizieller Seite formuliert werden, drohte Nettesheim mit dem Gang vor die Kreisspruchkammer, falls Conrads weiterhin die elektronischen Spielberichte nicht sorgfältig genug ausfüllte. Conrads hatte unter einem Spielbericht nur ihren Vornamen, nicht ihren Nachnamen angegeben. Wer sich mit dem Verfahren auskennt weiß, dass das eine Lappalie ist.
Weiter ging's: Nachdem sich ein Vater der Mädchen unerfolgreich eingeschaltet hatte, nahm sich Bernhard Mennes, Geschäftsführer bei Nullacht, der Sache an. Mennes ließ einen Antrag formulieren, der auf einer Sitzung im März 2013 wiederum ignoriert wurde. Dann kontaktierte Conrads Josefine Paul, die in Münster Fußball spielt, für die Grünen im Landtag sitzt und Sprecherin für Sportpolitik ist. Zudem verfassten die Mädchen einen Antrag zur Gleichberechtigung - die Angelegenheit nahm Fahrt auf.
Beispiel für das Funktionieren von Sportpolitik
Und siehe da - am 13. Mai, über ein Jahr nach der ersten Mail von Judith Conrads, verkündete Ottlik auf dem Kreistag der Mädchen, dass "mit Ablauf dieser Saison die Abseitsregel aufgehoben" werde, für Jungs und Mädchen im U10 und U11-Bereich, wohlgemerkt. Offiziell sagt Ottlik, er sei "dazu gezwungen". Klar wird hier, wie Sportpolitik funktioniert. Denn der Kreis hat bis heute den vom SC Münster 08 gestellten Antrag nicht bearbeitet. Allein durch das Publikwerden dieses Falls sahen sich Ottlik und Co gezwungen, die Ausnahmeregel zurückzuziehen. Vom FLVW und DFB hätte für den Kreis Ärger gedroht, den man - verständlicherweise - vermeiden will.
Trotzdem: Judith Conrads sagt zwar, dass sie und ihre Mädels zufrieden sind, weil es nun eine Gleichbehandlung gebe. Trotzdem dürfen sich die Mädchen nur als halbe Gewinnerinnen fühlen, weil ja weiter in diesem Altersbereich ohne Abseits gespielt wird. Klare Verlierer hingegen sind neben den Funktionären die männlichen Pendants im U11-Bereich. Julian Wiedenhöft, Trainer der männlichen U11 bei Nullacht sagt: "Das war eine sinnvolle Sache mit dem Abseits, wir haben uns immer mit den Schiedsrichtern geeinigt, dass man im Zweifel für den Stürmer wertet." Logisch: Durch diese Regelung wird vermieden, dass eine Mannschaft einen Spieler ganz vorne hinstellt und lange Bälle hinterherschickt. "Ich denke, es ist nicht im Sinne der Ausbildung, wenn vorne nur einer rumsteht", findet Wiedenhöft. Er wird im nächsten Jahr die U17 von Nullacht coachen, geht der Rückschritt-Regelung im jüngeren Altersbereich also aus dem Weg: "Ich bin froh, dass ich damit in der nächsten Saison nichts zu tun habe."