Zu wenig Erfahrung, zu wenig Lautstärke

Von Julian Schimmöller

(17.11.20) Im Schnitt fast vier Tore geschossen, aber auch mehr als vier Gegentreffer pro Partie gefangen: Als neutraler Zuschauer lohnen sich die Spiele der Reserve der Sportfreunde Lotte in dieser Saison eigentlich immer, Spektakel ist mehr oder weniger garantiert. Sechs Spiele, sechs Punkte und 22:25 Tore - so laute die bisherige Bilanz des Aufsteigers, die der neue Coach Daniel Solbach zwiegespalten beurteilt: "Offensiv zählen wir zu den besten Teams der Liga, mit so vielen Toren muss man eigentlich mehr Punkte holen. Andererseits ist unsere defensive Umschaltbewegung bisher katastrophal, viel schlechter Verteidigen kann man gar nicht."

Einen wichtigen Erklärungsansatz für die defensive Instabilität sieht Solbach in der mangelnden Erfahrung seines Teams: "Wir befinden uns aktuell noch in einem Lernprozess, sind ein junger Haufen. Zwei oder drei Spieler mit etwas mehr Erfahrung würden uns gut tun." Einer der wenigen Erfahrenen ist Torwart und Kapitän Benny Paesler, über den Solbach sagt: "Er ist unser Fels in der Brandung und absolut unverzichtbar." Paesler geht nicht nur aufgrund seiner Erfahrung voran: "Er spricht viel und hält die Truppe, die sonst eher ruhig ist, zusammen", sieht Solbach in seinem Kapitän ein wichtiges Sprachrohr.

Schnell zusammengewachsen

Das Problem: Paesler ist der einzige Lautsprecher im Team. Und so sagt der Capitano selber: "Manchmal ist es bei uns mucksmäuschenstill auf dem Platz, da fehlt es dann einfach an Stimmung." Kein Wunder, wird sich der ein oder andere angesichts des großen Umbruchs im Sommer denken, durch den die Mannschaft komplett neu zusammengewürfelt wurde. Daran liege es aber nicht, wie Paesler betont: "Wir sind schnell zusammengewachsen, der Zusammenhalt ist jetzt schon groß. Wir sitzen gerne auch mal nach dem Training länger noch zusammen. Damit, dass das so schnell klappt, habe ich ehrlich gesagt selber nicht gerechnet."

Damit es eben doch so schnell klappt, haben sich das Trainerteam um Solbach und der Mannschaftsrat um Paesler ordentlich ins Zeug gelegt und zahlreiche Gespräche mit allen Spielern geführt. Das hat gefruchtet und äußert sich beispielsweise auch in der Trainingsqualität: Sowohl die Beteiligung als auch die Intensität in den Einheiten ist stimmig. Die Stimmung innerhalb der Mannschaft passt also im Gegensatz zur fehlenden Stimmung auf dem Platz am Spieltag.

"Kein normaler Aufsteiger"

Fehlende Erfahrung und fehlende Stimmung zählen also zu den Gründen dafür, dass Lotte bisher nur zwei Siege holen konnte. Fehlende Qualität ist es dagegen sicher nicht: "Wir haben einige richtig gute Kicker dabei", weiß Paesler, der auch selber über reichlich A-Liga-Erfahrung aus seiner Zeit bei den Kobbos in Tecklenburg verfügt. Julian Töffling sammelte in Sutthausen bereits Bezirksligaluft, Robin Keider machte in der Bezirksligasaison 2018/19 beim BSV Holzhausen mit elf Scorerpunkten in 22 Spielen auf sich aufmerksam.

Zu diesem erfahrenen Trio gesellen sich zahlreiche vielversprechende Talente, die Paesler gehörig Respekt abnötigen: "Die Jungs, die hochgekommen sind, sind definitiv deutlich weiter als ich zu Beginn meiner Seniorenzeit." Ali Habibi kommt aus der Jugend des VfL Osnabrück und hat dort unter anderem in der B-Junioren-Regionalliga gespielt. Mouhamed Toure, Karam Trad und Gürbüz Firat zockten in der vergangenen Saison für die U19 der Sportfreunde, die in der Bezirksliga oben mitspielte. Trad und Firat waren Leistungsträger, Firat sogar Kapitän, beide dürfen aktuell auch immer wieder bei den Profis reinschnuppern. Apropos Profis: Mit Mika Becker, dessen Vertrag inzwischen aufgelöst wurde, Marvin Wema und Rani Kanjo mischten bereits drei Akteure aus dem Regionalligakader bei der Reserve mit.

Kein Wunder, dass Markus Sparenberg, Trainer von Mitaufsteiger Steinbeck, sagt: "Lotte ist in meinen Augen kein normaler Aufsteiger. Dafür haben sie viel zu große Möglichkeiten." Das bekam Sparenberg hautnah zu spüren, als er mit seinem Team am Autobahnkreuz mit 1:3 unterlag. Die Torschützen: Zweimal Kanjo, einmal Wema. Es war der zweite und bisher letzte Saisonsieg für die Sportfreunde, auch beim Ersten spielten die Profis eine entscheidende Rolle: Beim 6:1-Auftaktsieg gegen Lienen netzte Wema gleich vierfach, auch Becker trug sich in die Torschützenliste ein.

Auf Traumstart folgt Ernüchterung

Dass die Bilanz bisher aber doch nur die eines "normalen" Aufsteigers ist, ärgert Solbach: "Außer bei der Klatsche gegen Riesenbecks Erste waren wir immer mindestens gleichwertig, oft über weite Strecken sogar besser. Vor allem bei Teutos Zweiter und in Ladbergen hätte ich gerne etwas mitgenommen." Bei der Riesenbecker Reserve gab es ein ganz spätes 2:3, in Ladbergen nach turbulenter Partie am Ende ein deutliches 4:7. Extrem bitter aus Sportfreunde-Sicht verlief auch das bisher letzte Spiel: Trotz 4:1-Führung gab es beim 5:6 in Mettingen eine Last-Minute-Niederlage. "Da haben wir Mettingen eine Halbzeit lang an die Wand gespielt, in der zweiten Hälfte fing dann der Kopf an zu rattern", ärgert sich Solbach.

So folgte nach dem starken Auftakt gegen Lienen nur noch ein Sieg und Lotte rutschte unten rein: "Nach dem ersten Spiel waren die Erwartungen sicherlich höher, wir wurden dann aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt", schildert Paesler. Die Realität heißt aktuell: Abstiegskampf. Das sieht auch Solbach so: "Unser Ziel bleiben die ersten Zehn, aber das Wichtigste ist für uns der Klassenerhalt." Der Trainer ist sich sicher: Wenn die Mannschaft Zeit bekommt und aus dem Unterbau weiterhin Talente aufrücken, kann es in den nächsten Jahren auch höhere Ziele geben.