"Das ist wirklich eine Mannschaft!"

von Fabian Renger

(25.03.21) Ist das undankbar für Cihan Tasdelen! Kurz vor Weihnachten stellte der FC Eintracht Rheine den 45-Jährigen als neuen Coach vor. Für zu sofort. Und das während des Lockdowns. Gemeinsam mit seinem Co Rainer Sobiech lernt er die Mannschaft gerade häppchenweise beim Individualtraining oder via Zoom kennen. Mehr sitzt nicht drin. Zugleich muss die neue Spielzeit geplant werden. Dass die jetzige noch beendet wird? "Das wird nicht mehr funktionieren", winkt Tasdelen, der etliche Jahre beim SC Preußen Münster tätig war, umgehend ab. Wir sprachen mit dem, wie er selbst sagt, Fußballsüchtigen über seine Rückkehr auf den Platz nach eineinhalb Jahren Fußballpause.

Cihan, du sagtest bei deinem Start, du seist dir sicher, dass es sofort Spaß machen wird beim FCE. Ist das so? Kannst du trotz der ganzen Corona-Situation ein erstes kleines Zwischenfazit ziehen?
Tasdelen:  Sich mit einer Mannschaft, mit Menschen zu beschäftigen, mit denen man eine Leidenschaft teilt, ist spannend und schön. Wenn sich die Mannschaft auch untereinander so harmonisch verhält wie diese Truppe, dann macht es umso mehr Spaß. Beim Individualtraining ziehen alle mit, das gilt auch für unsere Analysen und Gespräche über die vorherigen Spiele und unsere Zoom-Einheiten.

Harmonisch? Das hört sich bei dir so an, als wär das etwas Besonderes?
Tasdelen: Ich habe eine sehr, sehr homogene Mannschaft übernommen. Es sind natürlich unterschiedliche Charaktere dabei, aber man merkt, dass sich die Jungs untereinander sehr gut verstehen. Ich benutze bei so einem Neustart eigentlich eher ungerne direkt diesen Begriff Mannschaft, sondern eher den Begriff Truppe. Aber das ist hier wirklich eine Mannschaft. Das hat mir sehr gut gefallen - ich habe in meinen 25 Jahren als Trainer ganz andere Beispiele erlebt  und erleben müssen.

Neben den wöchentlichen Zoom-Einheiten macht ihr ja zusätzlich schon etwas länger Individualtraining. Wie läuft das eigentlich ab: Rainer und du, ihr schnappt euch jeweils einen Spieler?
Tasdelen:  Nein, jeweils arbeiten zwei Spieler gemeinsam, wir dirigieren die Jungs mit genügend Abstand von Außen und halten uns im Hintergrund.

Was genau wird dann gemacht? Man kann doch zu zweit nicht so viel machen, oder doch?
Tasdelen: Wir arbeiten sehr viel im konditionellen Bereich mit dem Ball in Kombination mit Technik- und Koordinationsübungen. Aber auch Abschlussübungen, Flanken, Distanzschüsse, Passkombinationen zu zweit. Wir stellen Stangen als Gegenspieler auf, Hinterlaufen, Doppelpässe - nein, da kann man wirklich viel machen.

Was man sonst in einer größeren Gruppe macht.
Tasdelen: Da kommen die Jungs aber nicht so oft dran. Der Vorteil dieser Individualeinheiten ist die hohe Zahl der Wiederholungen. Das ist viel besser, um Automatismen herzustellen, um Defizite gezielter zu trainieren.

Für Tasdelen und Sobiech ist dieses Kleingruppen-Training die einzige Möglichkeit, das Team in Aktion zu sehen und kennenzulernen. Im mannschaftstaktischen Bereich müssen Videos derzeit reichen. Doch über dieses Einzeltraining sagt Tasdelen: "Das wird sehr unterschätzt. So kann man viel Potenzial erkennen, ausschöpfen und auch verbessern." Er selbst kennt sich damit aus als Inhaber einer Fußballschule.

Trotzdem wird natürlich kein Mannschaftstraining dadurch ersetzt. Oder kann man das irgendwie anreißen auf so einer kleinen Ebene?
Tasdelen: Individualtaktisch reduziert man die Spielidee auf diese Gruppenarbeit. Da nehmen wir dann zum Beispiel den rechten Verteidiger in die Gruppe mit dem rechten Flügelspieler. Die beiden haben im Spiel ja auch zusammen einige Situationen, die wir so simulieren können.

Stichwort Spielidee. Was spukt dir da so im Kopf herum? Lässt sich das schon sagen?
Tasdelen: Spielideen sind immer so eine Sache. Es wäre schade und traurig, wenn ich nur eine Spielidee hätte, davon gibt's mehrere. Heutzutage arbeitet man viel mit Analysen und achtet auf die gegnerischen Stärken und Schwächen.  Da ist Flexibilität gefragt. Ich bin verantwortlich für diese Mannschaft, da muss ich das Potenzial meiner Mannschaft am besten ausschöpfen. Also: Was kann diese Mannschaft am besten? In was für eine Grundordnung passen die einzelnen Spielertypen am besten rein? Aber auch da müssen wir variabel bleiben. Eine Mannschaft muss in der Lage sein, vorne draufzugehen; je nach Ergebnis und Spielminute sich aber auch mal zurückzuziehen und etwas tiefer zu verteidigen. Oder das Spiel auch mal ins Mittelfeld zu verlagern. Diese Variabilität verlange ich von meinen Truppen - aber das braucht Zeit.

Da können wir dann im Sommer nochmal drüber reden. Aber ich lehne mich weit aus dem Fenster: Ihr werdet euch nicht mit fünf Spielern hinten reinstellen?
Tasdelen: Jeder Trainer will guten, attraktiven Fußball und schnelle Spielzüge nach vorne zeigen. Es kommt aber immer aufs Potenzial an. Und diese Truppe hat ein riesen Potenzial. Da wäre es schon schade, wenn wir so tief stehen und wir uns nur aufs Verteidigen konzentrieren würden...(lacht)

Joschka Brüggemann (Innenverteidiger) und Eric Rottstegge (Allrounder, beide Westfalia Kinderhaus), Gino Lago-Bentron (Linke Bahn, offensiv und defensiv, BW Lohne) sowie Maurice Kampman (Innenverteidiger, VV Valthermond) sind schon als Neuzugänge vorgestellt worden. Demgegenüber stehen sieben Abgänge.

Werfen wir mal einen Blick auf den Kader der neuen Saison. Vier Neuzugänge, ein paar Abgänge. Was kommt da noch und worauf kommt's an?
Tasdelen: Wichtig ist es, durchdacht vorzugehen und nicht so schnell wie möglich den Kader voll zu kriegen. Spieler funktionieren nicht überall. Das muss einigermaßen zusammenpassen, auch wenn das aktuell natürlich schwieriger festzustellen ist. Wir haben sehr viele Gespräche geführt, für jede Position drei, vier Alternativen gehabt und uns gefragt: Wer von diesen Spielern passt am besten auf diese Position. Wer könnte mit wem gut zusammen funktionieren? Viele haben zugesagt, da wird in den nächsten Wochen peu á peu noch etwas kommen.

Kannst du verraten, auf welcher Position da noch etwas passiert? Defensiv seid ihr mit euren Neuzugängen ja eigentlich schon gut aufgestellt.
Tasdelen: In der Offensive werden wir auf jeden Fall noch schauen. Da wird in den nächsten Tagen mit Sicherheit etwas passieren. Bei den anderen Positionen müssen wir abwarten, was der Verband entscheidet, ob die nächste Saison mit 22 Mannschaften oder gesplittet abläuft. Davon hängt es auch ab. Umso größer die Liga, umso mehr Spiele hat man - dann muss der Kader natürlich noch größer sein.

Braucht ihr denn noch einen neuen Torhüter, nachdem euch Luis Klante schon wieder verlassen wird?
Tasdelen: Wir haben zwei Torhüter - und die beiden haben unser Vertrauen. Deswegen werden sie auch bleiben.

Nicholas Beermann und Cornelius Watta.
Tasdelen: Genau. Falls wir einen Torwart zusätzlich finden, den wir als Verstärkung erachten, werden wir noch einen Torwart verpflichten. Wenn nicht, dann nicht.

Ihr braucht nicht zu 1000 Prozent einen Neuen?
Tasdelen: Wir könnten einen gebrauchen, wenn es eine verlängerte und größere Staffel wird. Wir könnten Probleme bekommen, wenn sich einer der beiden verletzt. Da müssen wir auf der sicheren Seite stehen. In einer Oberliga-Mannschaft muss man schon im besten Fall einen dritten Torwart haben.