Oberliga Westfalen
Die Oberliga ist keine einjährige Urlaubsreise
von Fabian Renger
(11.11.20) 14 Punkte, eine Tordifferenz von 19:13, Rang 8: Das sind die nackten Zahlen der SpVgg Vreden. Für einen Aufsteiger eine knackige Bilanz. Engin Yavuzaslan, seit Sommer Trainer der Equipe, ist damit einverstanden. Logisch. Zurücklehnen ist aber nicht angesagt. "Wenn man durch Vreden gegangen ist, waren wir für 90 Prozent der Absteiger Nummer Eins", erinnert er sich. Für viele sei es immer noch der Fall, schätzt der Übungsleiter.
Die Mannschaft rüstet sich aktuell für den Tag X, wenn es nach der Corona-Pause wieder rausgeht. Dank des örtlichen Partners, dem Gesundheitszentrum Vreden, hat jeder Spieler ein Spinning-Rad zuhause. Zweimal die Woche trifft sich die Mannschaft per Zoom zur Video-Spinning-Session. "Ich bin ein Freund von gewisser Abwechslung und gerade im Bereich Spinning belastest du ja mehrere Muskelpartien", erklärt der Boss. Auch im Kraft- und Ausdauerbereich wird dabei nochmal kräftig malocht. Von nichts kommt nichts.
Der Trainer, im Oktober wurde sein Vertrag bereits verlängert, schätzt indes nicht, dass die Saison wie gehabt über die Bühne geht. "Realistisch gesehen, kriegst du das nicht hin. Wie viele Englische Wochen willst du denn machen?", sagt er. Vreden hätte noch 31 Saisonspiele zu gehen, dazu kommen Kreis- und Westfalenpokal. Straffes Programm. Yavuzaslan glaubt an die 50-Prozent-Regelung bei der Saisonwertung, als Zeitpunkt für eine Saisonfortsetzung denkt er frühestens an Ende Januar. Also hatte er Zeit satt, um sich mit uns zu unterhalten. Leinen los!
Engin, Hand aufs Herz: Hättest du damit gerechnet, dass es so gut läuft bei euch bisher?
Yavuzaslan: Die Frage ist, gerade wenn du als Trainer ein paar Ligen überspringst, wie schnell setzen die Spieler deinen Stil um? Weil es ein taktisch sehr geprägter Stil ist, der mit sehr viel Aufwand betrieben wird, der unheimlich viel mit Offensivpressing zutun hat. Das Kollektiv darf in dem Moment nicht pennen. Ich hab's mir im Unterbewusstsein erhofft, ja, aber ich hätte nicht gedacht, dass wir es in der kollektiven Breite komplett sofort so hinkriegen.
Läuft also alles schon perfekt?
Yavuzaslan: Wir befinden uns noch immer in einem Anfangsstadium mit vielen Punkten, wo ich noch dran schleifen muss. Aber die Jungs machen das gut, sind mutig und haben gelernt, frech und unbekümmert und mit Herz und nicht mit dem Kopf zu spielen. Da lege ich einen besonderen Fokus drauf. Ich bin kein Freund davon, hinten Beton anzurühren und sich durchzumogeln. Ehrlichkeit und harte Arbeit setzt sich durch.
Was hast du den Jungs denn gesagt, wie sie die Liga annehmen sollen?
Yavuzaslan: Die Jungs sollen die Oberliga folgendermaßen angehen: Wenn ich das ganze Jahr für ein schönes Urlaubsziel hart arbeite und viel investiere, also auch die Kohle dafür zur Seite lege, muss ich was dafür tun. Ich sehe die Oberliga nicht nur als ein Jahr schönen Urlaub. Ich möchte zum nächsten Urlaub im nächsten Jahr nämlich wieder dahin. Weil ich die Oberliga einfach schön finde, das macht Spaß, das ist anderer Podest als die Westfalenliga. Aber ich bin optimistisch. Natürlich haben wir eine junge Mannschaft und werden auch in ein Loch reinfallen, wo wir mal fünf, sechs Spiele nicht gewinnen werden. Das gehört dazu. Wichtig ist aber, dass die Jungs lernen.
Frech und unbekümmert wirkt ihr schon. Was müsst ihr konkret noch besser machen?
Yavuzaslan: Diese Abgezocktheit, diese Cleverness, diese Coolness. Das müssen die Jungs lernen. Wir sind nicht die Mannschaft, die mit 100 Prozent Aufwand belohnt wird. Wir müssen jedes Spiel 120 Prozent geben. Wir sind in gewissen Bereich noch zu naiv. Da waren die ersten Spiele prädestiniert. Rheine war uns nicht zwei Klassen voraus, da waren wir mindestens ebenbürtig. Gegen den ASC Dortmund war's genau das gleiche Spielchen.
Ihr habt als Aufsteiger 21 Tore geschossen. Das bedeutet Platz 4 im Offensiv-Ranking. Das ist erstaunlich. Woran liegt das?
Yavuzaslan: Du hast Jungs wie Bernd Verwohlt hinten drin, der gesetzt ist, Nico Ostenkötter, Leon Kondring, Felix Mensing, der aus der A-Jugend rauskommt, Ibrahim Kouyate, der letztes Jahr mit Kreuzbandriss nicht ein Spiel gemacht hat...solche Leute kommen halt. Da lacht mir das Herz, wenn ich sehe, wie die jungen Bengels auf einmal auf die linke Spur gehen und versuchen, zu überholen. Aber das geht nicht nur mit jungen Spielern, da brauchst du schon die erfahrenen und ausgebufften. Wichtig ist, dass sie wollen.
Das kann man deinen Jungs zugestehen.
Yavuzaslan: Sonst würden sie auch ein großes Problem mit mir kriegen. Wenn ich ein Heimspiel habe und die Zuschauer mit dem Gefühl nach Hause geschickt werden, dass die Jungs nicht alle gegeben haben, dann werde ich böse. Die Leute zahlen Eintritt, essen ihre Wurst, trinken ihr Bier - da müssen sie was geboten kriegen. Zumindest müssen wir uns hinterher in den Spiegel gucken können, dass wir alles gegeben haben. Das ist das mindeste, was ich erwarten muss.
Sonst hättest du wahrscheinlich auch nicht so früh verlängert, wenn du nicht das Gefühl hättest, dass es läuft. Das ist ja verhältnismäßig früh, nach ein paar Monaten Amtszeit...
Yavuzaslan: Ich war positiv erstaunt, wie frühzeitig der Vorstand mit mir verlängern wollte. Für mich war das eine Ehre. Ich bin aber auch kein Trainer, der nach einem Jahr abhaut. Klar bin ich sehr ambitioniert und sehr erfolgsorientiert, ich mache das mit absoluter Leidenschaft und Wille. Das hat der Vorstand hat honoriert und in der kurzen Zeit einen Entwicklungsprozess gesehen. Für mich ist es aber wichtig, dass die Spieler sich weiter entwickeln und ein paar Schritte voran kommen, den Fußball vielleicht auch etwas anders sehen. Für mich ist das wie ein Baby, was vorher gekrabbelt hat und jetzt geht es schon.
Wo steht ihr mit Vreden in einem Jahr um diese Zeit?
Yavuzaslan: Hoffentlich da, wo wir gerade sind - also in der Oberliga.(lacht) Mein Ziel ist ganz klar, über den Strich zu stehen. Das ist das allerwichtigste. Wenn wir dabei noch einen ansehnlichen Fußball spielen, bin ich umso stolzer. Im nächsten Jahr ist eine andere Zielsetzung ein paar Plätze höher angedacht. Da setze ich mir die Knarre selbst auf der Brust.
Du hast aber auch keine Panik, dass das bisher alles nur Euphorie war?
Yavuzaslan: Nein, ich lasse mich ja auch nicht feiern. Wir sind ja nicht am Rathaus und lassen uns bejubeln. Klar haben wir bisher 14 Punkte geholt als Aufsteiger, die kann uns keiner wegnehmen. Aber mit 14 Punkten hat noch keiner die Liga gehalten. Da gibt es gar keinen Grund, sich feiern zu lassen oder weniger zu machen. Wir müssen weiter aufs Gaspedal drücken. Ich glaube, wir haben eine gewisse Duftmarke in der Liga hinterlassen und werden mit einem anderen Auge betrachtet.