Daglar macht's jetzt lieber auf die entspannte Tour

Von Fabian Renger

(16.04.21)  Zwei Trikots mit dem DFB-Pokal-Wappen und eines mit dem 3. Liga-Emblem hat Semih Daglar noch zuhause. "Ein paar habe ich auch verschenkt", erzählt er. Es sind Erinnerungen an vergangene Zeiten. Inzwischen ist das Kapitel Profifußball für den 28-Jährigen abgeschlossen. Seit dem vorigen Sommer treibt er sein Unwesen in der Westfalenliga bei GW Nottuln. Ein Ex-Profi in den Baumbergen. Wie ist er dorthin gelangt?

Er wollte kürzer treten, hieß es damals bei seiner Vorstellung. "Ich hatte keine Lust mehr auf die weiten Fahrten", wollte Daglar mehr Zeit haben - auch und vor allem für seine beiden Kinder (4 Monate und 6 Jahre). Seine vorherige Station war Roland Beckum. Da musste er sich einmal quer durch Münsters Berufsverkehr-Dschungel kämpfen und benötigte über eine Stunde pro Weg. Er wohnt in Kinderhaus, die Autobahn ist nahe, zum Baumberge-Stadion braucht er so maximal 20 Minuten. Das ist zu verkraften.  Wie es ihm bei den Grün-Weißen gefällt? "Super, da bin ich echt zufrieden", antwortet er fix. "Es halten alle zusammen!" Nicht zuletzt sein aktueller Teamkollege Daniel Feldkamp, mit dem Daglar früher bereits länger zusammenspielte, hatte im vergangenen Jahr die größte Überzeugungsarbeit geleistet.

Länderspiele für die Türkei

Daglar profitiert nun vom Zusammenhalt und vom ruhig-relaxten Umfeld, der Verein von der reichhaltigen Erfahrung und Qualität der Offensivkraft. Im Februar 2010, damals Jugendspieler von Preußen Münster, spielte er einmal für die U17 der Türkei (gegen Rumänien). Zwei Jahre drauf, wieder im Februar und inzwischen für die U19 des BVB aktiv, folgten zwei weitere Länderspiele für die türkische U19-Auswahl (u.a. gegen Irland). Spätestens seitdem setzte Daglar fast alles auf die Karte Fußball. Über die Stationen SC Wiedenbrück (Regionalliga West), Preußen Münster II (Westfalenliga) und Roland Beckum (Oberliga Westfalen) landete er schließlich vor der Saison 2015/16 bei den SF Lotte in der Regionalliga West. Das Empfehlungsschreiben aus Beckum: 20 Treffer, der vierte Platz in der Torjägerliste.

Auch am Autobahnkreuz lief's für ihn dufte. 20 Spiele absolvierte er in der Meister- und Aufstiegssaison, immerhin drei Buden und vier Vorlagen sind verzeichnet. Im DFB-Pokal-Spiel gegen Bayer Leverkusen (0:3) stand Daglar sogar in der Startelf. Ein Ex-Pokal-Profi also. Auch ein Aufstiegsheld? "Ja sicher, da war ich auch dabei", sagt er lachend. 3. Liga-Luft atmete im Folgejahr ebenfalls. In den ersten vier Saisonspielen stand er im Kader, auswärts bei Holstein Kiel  am 9. August 2016 gab er sein Debüt, musste allerdings nur 16 Minuten nach seiner Einwechslung bereits wieder weichen. Den Rest der Halbserie sah er nur noch von der Tribüne, keine schöne Zeit. Im Januar 2017 ging's weiter nach Hamm. Oberliga. Dort blieb er, wechselte aber nach einem halben Jahr Hamm nach Ahlen - und da kam's knüppeldick.

Am Delsen das Kreuzband gerissen

Das Gastspiel beim FCE Rheine stand an, dritter Spieltag, 27. August 2017. Während des Aufwärmens vor dem Spiel riss er sich das Kreuzband. Der nächste herbe Rückschlag. 2018 die Rückkehr nach Beckum und jetzt eben die schönen Baumberge. Die Ruhe dort genießen, wieder den Spaß am Kicken entdecken, das hat er sich vorgenommen. "Ich könnte höher spielen", befindet der in einem Ingenieur-Büro beschäftigte Flemmer. Könnte, aber von wollen ist keine Rede mehr. "Das mit dem Fußball läuft jetzt alles eher entspannter bei mir ab."

In allen Nottulner Saisonspielen stand er auf dem Acker, traf einmal. Und sein baldiger Chefcoach Yannick Gieseler kann beruhigt sein: Daglar hält sich nämlich fit. Als wir ihn zum Anschwitzen anrufen, ist er gerade wieder zurück vom kleinen Bolzplatz-Ausflug mit seinem Cousin. Das macht er häufig während des Lockdowns. Sein Verwandter spielt bei Preußen Münster in der Jugend. Daglar erzählt gequält - aber wieder schelmisch lachend, er ist eben ein lässiger Zeitgenosse: "Ich bin alt geworden. Man merkt schon, dass ich keine 21 mehr bin." Aber mit 28 auf jeden Fall noch zu jung, um die Treter endgültig einzumotten. Vielleicht hängen in ein paar Jahren ja auch ein paar Jersey in grün und weiß bei ihm daheim...