Querpass

"Historischer Moment" in den Niederlanden


Von Christian Lehmann

(12.05.21) Mixed-Teams sind im Badminton, Tennis oder (Beach-)Volleyball schon längst keine Seltenheit mehr. Aber im Fußball? Die strikte Trennung in Männer- und Frauenmannschaften hat der Niederländische Fußballverband KNVB nun im Amateurbereich aufgeweicht. Wie mehrere Medien berichten, dürfen dort künftig Frauen in Männermannschaften bis hoch zur "Tweede Divisie" (dritte Liga) kicken. Eine Revolution.

"Wir wollen, dass Mädchen und Frauen auf der Grundlage ihrer Qualitäten und eigenen Ambitionen einen passenden Platz in der Fußball-Landschaft finden", wird Jan Dirk van der Zee, Direktor Amateurfußball des nationalen Fußballverbands, vom Magazin Öffnet externen Link in neuem Fenster"Der Spiegel" zitiert. "Wir sehen auf Basis des heutigen Zeitgeistes und von Untersuchungsergebnissen keinen Grund mehr, uns an alte Regeln zu halten und wählen Gleichwertigkeit und Diversität." Für ihn sei es ein "historischer Moment für den Amateurfußball und auch weltweit." Den Weg hierhin hatte auch die friesische Fußballerin Öffnet externen Link in neuem FensterEllen Fokkema geebnet, die im vergangenen Jahren nach zähem ringen mit einer Sondergenehmigung das Recht erwirkt hatte, in einem Männerteam mitspielen zu dürfen.

Von der Möglichkeit, in Männerteams mitzuspielen, könnten künftig auch Spitzensportlerinnen des Vize-Weltmeisters von 2019 und Europameisters von 2017 Gebrauch machen. Viele Mädchen kicken in den Niederlanden in gemischten Jugendteams, der Frauenfußball ist jedoch wenig professionalisiert.  In der Eredivisie der Frauen etwa, die erst seit 2015 wieder eigenständig ist, gehen nur acht Teams an den Start. 

Wir haben uns umgehört, wie die Pläne bei unseren Nachbarn im Heimspiel-Land bewertet werden. Unsere Abonnenten lesen im nächsten Teil, was Marianne Finke-Holtz (Vizepräsidentin Vereins- und Verbandsentwicklung im FLVW), Münsters Kreisvorsitzender Norbert Krevert und Kolja Steinrötter, Trainer beim Frauenfußball-Bezirksligisten BW Aasee, zu diesem Thema sagen.

Auch im Heimspiel-Land hat man die neuesten Pressemeldungen vom Nachbarn interessiert verfolgt und sich eine Meinung zu diesem Thema gebildet. Ganz so euphorisch wie in den Niederlanden ist hierzulande allerdings (noch) nicht jeder.

Norbert Krevert, Vorsitzender des Fußballkreises Münster sowie ehemaliger Frauenfußball-Beauftragter, sagt: "Ich bin ein totaler Freund von neuen Gedanken und Gleichberechtigung. Ich schließe auch nicht aus, dass es in Zukunft Lockerungen geben könnte - etwa bei Freundschaftsspielen zwischen Frauen- und Männerteams. Ich finde allerdings die jetzigen Modelle, die wir im Seniorenbereich bei den Männern und Frauen haben, sehr gut." 

Marianne Finke-Holtz ist Vizepräsidentin für Vereins- und Verbandsentwicklung im Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen (FLVW) sowie Mitglied im DFB-Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball. Für sie ist vor allem wichtig, dass alle, die Fußball spielen wollen, dies auch tun können. Aus ihrer Sicht spreche nichts nichts dagegen, dass eine Fußballerin in einer Männer-Mannschaft spielt, wenn es sportlich passt. Mehrfach habe es in der Vergangenheit Anfragen etwa von Spielertrainerinnen hierzu gegeben, die der Verband jedoch stets ablehnen musste. "Wir wollen möglichst viele Fußballerinnen und Fußballer ansprechen. Und im Hobby-Bereich ist es ja häufig so, dass Männer und Frauen zusammen kicken. Ich wäre nicht generell dagegen, man muss aber sicherlich genau überlegen, in welchem Format es machbar ist. Im Freizeit- und Basis-Sportbereich - warum nicht?"

Gemäß der jüngsten DFB-Beschlüsse dürften besonders talentierte Mädchen sogar bis zu B-Junioren-Bundesliga bei den Jungs mitspielen. "Wir wissen, dass das Einzelfälle sein werden. Aber wenn es jemand schafft, würden wir das nicht verhindern wollen", so Finke-Holtz, die auf der Ebene des Westdeutschen Fußballverbands (WDFV) nun auch Änderungen für das diverse Geschlecht oder Transgender-SpielerInnen mit auf den Weg gebracht hat. "Das sind Fragen, über die man sich vor 20 Jahren noch keine Gedanken gemacht. Deswegen würde ich auch die Idee der Holländer nicht kategorisch ablehnen. Ich finde es wichtig, dass alle spielen können." Die Modus-Frage, die von der Verbands-Funktionärin aufgeworfen wird, ist dabei offenbar eine ganz entscheidende. Würde es künftig separate Wettbewerbe für Mixed-Teams geben, könnten darunter die über Jahre gewachsenen Strukturen im Frauen- und Männerfußball leiden. Und für den Fall, dass es keine eigenen Wettbewerbe gibt und Frauen künftig einfach bei den Männern mitspielen dürften, wirft Finke-Holtz die Frage auf: "Würde man es dann auch genehmigen, wenn der erste Mann in einer Frauenmannschaft mitspielen möchte?" Eine Frage, über die sich bisher wohl kaum Gedanken gemacht wurden.

Genau an dieser Stelle sieht Kolja Steinrötter ein zentrales Problem in den jüngsten Debatten rund um das Thema Frauenfußball. "Der Fußballsport wurde in den vergangenen 100 Jahren in seinen Strukturen ganz massiv von Männern geprägt", sagt der Trainer des Frauenfußball-Bezirksligisten Blau-Weiß Aasee, der sich seit Jahren für die Weiterentwicklung und Gleichstellung des Frauenfußballs stark macht. "Frauen werden dabei oft behandelt wie kleine Männer", findet er. Die Öffnet externen Link in neuem Fensterphysiologischen und und geschlechtsspezifischen Besonderheiten würden, so Steinrötter, nämlich häufig im Bestreben, Frauen und Männer gleich zu behandeln, außer Acht gelassen. Dass es etwa zur höheren Verletzungsanfälligkeit von Frauen kaum bis gar keine Studien gebe, zeige, wo Nachholbedarf besteht, so der Münsteraner. 

Von der Idee, künftig Männer und Frauen zusammen spielen zu lassen, ist er daher nicht begeistert: "Für mich hört sich das alles an wie ein Presseprojekt. Technisch und taktisch können Frauen auf Kreisliga-Niveau sicherlich mithalten, die körperlichen Unterschiede sind ab einem Alter von 16, 17 Jahren aber einfach zu groß. Aus meiner Sicht macht das keinen Sinn. So tut man Frauen, die ambitioniert Fußball spielen möchten, auch keinen Gefallen." Gleichwohl sei es aber sinnvoll, Strukturen an der Basis zu verbessern und den Frauenfußball langfristig und nachhaltig zu fördern.