Westfalenliga 1
Willkommen in Absurdistan
Von Fabian Renger
(10.09.23) Minute 65 im Hassenbrock läuft. Westfalia Kinderhaus führt beim SV Mesum locker-flockig mit 2:0. Westfalias Semih Daglar ist bereits an Heim-Schnapper Max Jasper vorbei, es ist das sichere 3:0. Es ertönt ein Pfiff. Abseits - so die Entscheidung von Referee Stefan Schönfelder. Es wäre der Todesstoß für die Hausherren gewesen. Stattdessen wähnte man sich kurz darauf in Absurdistan. Im Handumdrehen drehte Mesum den Spielstand noch und feierte nach dem Abpfiff einen 5:2 (0:1)-Heimerfolg und obendrein die Übernahme der Tabellenführung. Irre. Aber was in Dreiteufelsnamen ist da bitte im Schlussdrittel mit den Gästen passiert?
Kinderhaus-Coach Holger Möllers fühlte sich an einen Sonnenstich erinnert. "Das war ein kollektiver Blackout. Im Grunde genommen haben wir uns auf dem Platz eine Auszeit genommen und das Fußballspielen eingestellt", ärgerte er sich, rätselte und sprach von einer gebrauchten Viertelstunde. Die begann mit Yannik Willers' erstem Streich. Christian Biermann steckte fein durch, Willers umkurvte Gäste-Torwart Steffen Scharbaum und auf einmal war der 1:2-Anschluss hergestellt (69.). Mit dem Tor passierte was mit beiden Mannschaften: Mesum glaubte plötzlich wieder an Zählbares und Kinderhaus hatte auf einmal was zu verlieren. Es war der Anfang vom Kinderhauser Ende. Kopfsache.
Mesums macht kurzen Prozess: Fünf Tore in einer Viertelstunde
Denn jetzt machte der SVM Ernst. Und wehe dem, wer die folgenden Minuten wegen einer schwachen Blase womöglich auf Toilette verbrachte und somit verpasste. Chris Strotmann glich mit einer risikobehafteten Volleyabnahme zum 2:2 aus (74.). Bei den Gastgebern funktionierte jetzt gefühlt alles, bei Kinderhaus gefühlt nichts mehr. Aus spitzem Winkel markierte der fleißige Willers das 3:2 (76.), das 4:2 bereitete er auch noch vor, schlussendlich war Biermann erfolgreich (79.). Und weil der - das ist ein uraltes Mesumer Gesetz - halt einfach zwei Tore pro Spiel schießen muss, verwandelte er noch einen Strafstoß zum 5:2-Endstand (Foul an Lars Jenders/84.).
"Das war schon ein crazy Spiel. Gegen diese Defensive musst du erstmal fünf Stück machen", war auch SVM-Co-Trainer Markus Heckmann begeistert. "Die Moral der Jungs ist überragend. Das bockt gerade." Auch was Mesum gerade so von der Bank bringen kann (u.a. kamen Tobias Göttlich und Luca Bültel rein), ist bemerkenswert. Hervorzuheben ist auch die Leistung des Youngsters David Katerkamp, der - frisch der A-Jugend entsprungen - beim Stand von 0:2 reinkam und dann sowas von seinen Mann stand. Respektabel.
Beidseitiger Respekt vor der Halbzeit
Haben wir Mesums Leistung abgearbeitet und die denkwürdige Schlussphase. Was war ansonsten los? In der ersten Halbzeit nicht so viel. Es gab wenig Torchancen hüben wie drüben. Die Hintermannschaften verrichteten ihren Job tadellos, der Respekt vorm Gegner war beidseitig groß, dazu kam das Wetter. Luis Haverland scheiterte zwischenzeitlich an Jasper, Fabian Witt brachte die Gäste schließlich mit einem schönen Schuss aus 20 Metern mit 1:0 in Front (23.).
Nach der Pause war Kinderhaus drauf und dran, Tabularasa zu machen. Die Westfalia wirkte präsent in den Zweikämpfen, schaltete blendend um. "Es war nur eine Frage, wie hoch wir das Spiel gewinnen", so Möllers. Mesum spiegelte zum Abschnitt das System der Gäste und setzte fortan vorerst auf ein 3-5-2. Der Effekt blieb ergebnistechnisch aus: Semih Daglar netzte nach einem Angriff über die linke Seite und einer Steil-Klatsch-Aktion zum 2:0 ein (52.). Das Ding schien durch. Erst recht, als Daglar das 3:0 auf dem Fuß hatte und zurückgepfiffen wurde. "Es hätten nur wenige darauf gewettet, dass wir noch zurückkommen", meinte Heckmann. Damit hatte er wohl Recht - aber die Mesumer schlugen ja noch fünfmal zurück. Blanker Wahnsinn. Tabellenführer-Wahnsinn eben.
SV Mesum - Westfalia Kinderhaus 5:2 (0:1)
0:1 F. Witt (23.), 0:2 Daglar (52.)
1:2 Willers (69.), 2:2 Strotmann (74.)
3:2 Willers (76.), 4:2 Biermann (79.)
5:2 Biermann (84./FE)